Albert Benbassat

Sehnsucht nach Baden

Zehn Familien und ihren Villen ist diese Ausstellung gewidmet.

Emil (1853-1918) und Raoul Fernand (1888-1939) Jellinek-Mercedes

Emil Jellinek, Sohn eines Rabbiners, zählt zu den schillerndsten Persönlichkeiten seiner Zeit. Er arbeitet als Handels- und Versicherungsvertreter in Algerien, woher auch seine erste Frau Rachel stammt. 1884 übersiedelt er von dort nach Baden. Er erwirbt eine Villa, die immer wieder vergrößert und erweitert wird und am Ende 50 Zimmer umfasst – heute zeugt nur noch die Garage von der großen Geschichte. Und diese Garage spielt in Emils Leben eine große Rolle: Er vertreibt Daimler-Fahrzeuge und lässt sich ein besonderes Automobil konstruieren, das er nach seiner 1889 in Baden geborenen Tochter Mercedes benennt.

Sein Sohn Raoul Fernand widmet sich der Schriftstellerei und hat eine besondere Liebe zur Musik. Eine umfangreiche Sammlung von Partituren hat in der Musikbibliothek in Essen überlebt und befindet sich seit kurzer Zeit wieder in Wien. Raoul Fernands Leben endet tragisch: Nach einem Verhör durch die Gestapo nimmt er sich am 10. Februar 1939 in seiner Villa in Baden das Leben.

Albert Benbassat (1894-1955)

Der Bankier und gebürtige Bulgare Albert Benbassat erwirbt 1930 eine Villa in Baden, die 1899 vom Begründer der Hirtenberger Patronenfabrik, Anton Keller, erbaut worden war.

1932 heiratet Albert Benbassat Adele Goldmann, geborene Feuerstein, deren Familie zu den Begründern der Ölindustrie in Galizien gehört – sagenhafter Reichtum begleitet diese Industrie, deren Bedeutung heute kaum mehr bekannt ist. Doch auch dieses Geld kann Benbassats Bankhaus nicht retten: nur vier Jahre später gerät sein Bankhaus in den wirtschaftlich so turbulenten Zeiten ins Schwanken und Albert Benbassat lässt die Einrichtung seiner Villa versteigern. Der Auktions-Katalog gibt Einblick in eine luxuriös eingerichtete Villa mit außergewöhnlichen Möbeln und Kunstwerken.

Mit seiner Frau und den Söhnen Jacques und Mario flüchtet Albert Benbassat 1938 nach Rumänien und von dort 1942 weiter in die Schweiz. Nach dem Krieg geht die Familie nach Amerika.

Gustav Heller (1857-1937)

Die Brüder Gustav und Wilhelm Heller gründen eine Süßwarenfabrik in Wien und expandieren rasch – bald werden sie als die „Zuckerl-Heller“ berühmt. Ihr „Wiener Zuckerl“ zählt bis heute zu den Standardprodukten aller Zuckerlgeschäfte. Gustav Heller erwirbt 1907 von Adolph Ignaz Mautner Markhof eine Villa in Baden mit einer beeindruckenden gusseisernen Veranda, die von der Weltausstellung 1889 stammt. Nach Gustavs Tod im Jahr 1937 erben seine Kinder Grete, Hans und Marianne je ein Drittel. Grete heiratet Karl Rutter und überlebt, durch ihren nichtjüdischen Mann geschützt, den Krieg in Wien. Hans flüchtet nach Amerika, sein Drittelanteil wird beschlagnahmt. Marianne stirbt 1938 in Wien, ihr Mann Otto Wolf flüchtet mit den Söhnen Thomas und Martin nach Argentinien. Nach 1938 müssen die Geschwister ihre Anteile „verkaufen“, der Komponist Heinrich Strecker erwirbt sie nach und nach. Bis heute ist die Villa im Eigentum der Familie Strecker.

Heinrich Klinger (1832-1905)

Heinrich Klinger ist ein vielseitiger Mann: Als Industrieller widmet er sich der Leinen- und Juteproduktion in Böhmen und Mähren und gründet einige Fabriken. Durch seine Tätigkeit in der Handelskammer macht er sich auch in einer breiteren Öffentlichkeit einen Namen. Als Präsident der israelitischen Kultusgemeinde in Wien setzt er sich besonders für die Betreuung alter Menschen ein. Gemeinsam mit seiner Frau Charlotte erwirbt er im Jahr 1884 eine Villa in Baden, wo die Familie bis zum Jahr 1914 die Sommerfrische verbringt. Heinrichs Sohn Norbert ist Rechtsanwalt und heiratet Seraphine Straus, die Schwester des Komponisten Oskar Straus. Ihr Onkel Alfred Stern ist wiederum ein Kollege Heinrich Klingers im Präsidium der Kultusgemeinde Wien. Norbert erwirbt eine bedeutende Kunstsammlung, die von den Nationalsozialisten enteignet wird. Er stirbt 1941 in Wien im israelitischen Spital, das sein Vater einst finanziell unterstützte. Seraphine wird nach Theresienstadt deportiert, wo ihr Leben 1943 endet.

Adolf (1852-1925) und Moriz (1858-1918) Gallia

Der Rechtsanwalt Dr. Adolf Gallia gilt als einer der bekanntesten Patentanwälte Wiens. Er kümmert sich um die Patentierung und Finanzierung der Erfindungen Auer von Welsbachs, besonders für das berühmte Gasglühlicht. Als Vertreter der Firma führt er oftmals Aufmerksamkeit erregende Patentprozesse. Gemeinsam mit seiner Frau Ida erwirbt er eine Villa in Baden, in der auch sein Bruder Moriz mit Familie viele Sommer verbringt. Adolf Gallia arbeitet immer wieder mit dem Architekten Jakob Gartner zusammen, der vor allem Synagogen erbaut. Auch einige Gebäude an der Wiener Ringstraße stammen von ihm, so das Eckhaus Stubenring 24 / Dr.-Karl-Luegerplatz 6, das er im Auftrag von Adolf Gallia im Jahr 1902 errichtet. Drei Jahre zuvor, 1899, gestaltete Gartner die Villa in Baden um.

Die Brüder arbeiten eng zusammen, Moriz ist der Direktor der Gasglühlicht AG (Auer Gesellschaft) in Wien, Präsident und Gesellschafter der Firma Hamburger & Co. und Präsident der Wiener Werkstätte, für die er sich von Anfang an engagiert. Vor allem der Architekt und Designer Josef Hoffmann hat es der Familie angetan: Ihre große, repräsentative Wohnung in der Wohllebengasse im vierten Bezirk in Wien gestaltet Hoffmann als Gesamtkunstwerk inklusive Gebrauchsgegenständen wie Besteck und diversen Dekorationsstücken. Tim Bonyhadys lesenswerte Familienbiographie Wohllebengasse gibt einen guten Einblick in die Welt der Familie Gallia. Auch der Secession fühlt sich die Familie verbunden und sie unterstützt aufstrebende Künstler. So entsteht 1903 ein Porträt von Hermine Gallia, gemalt von Gustav Klimt. Dieses künstlerische Umfeld wird wohl auch ihr Leben in Baden geprägt haben, von dem leider kaum noch Spuren zu finden sind.

Adolf und Ida sterben ohne Nachkommen, 1932 wird das Haus an den sehr vermögenden Weingroßhändler Hugo Glattauer und seine Frau Elsa verkauft. Das Ehepaar Glattauer kann mit seinen Kindern nach Australien flüchten, das Haus selbst gerät nach langjährigen Querelen erst am 13. März 1945 in den Besitz des Großdeutschen Reiches. 1948 erhält das Ehepaar Glattauer die Villa zurück und verkauft sie 1954. Das Gebäude wird abgerissen und 1975 durch eine Wohnhausanlage ersetzt.

Wilhelm Gutmann (1826-1895)

Die Kohlen-Gutmanns revolutionieren den Energiemarkt: Sie schaffen in Wien ein kleingliedriges Vertriebssystem, das Haushalte mit Kohle versorgt. Was für eine Erleichterung für die Menschen! Doch nicht nur dies macht Wilhelm und seinen Bruder David Gutmann zu einer der bedeutendsten Industriellenfamilien der Monarchie: Sie zählen auch zu den wichtigsten Mäzenen ihrer Zeit. So erbauen sie die Poliklinik in Wien, errichten Häuser für ihre Arbeiter und Angestellten und unterstützen zahlreiche jüdische Sozialeinrichtungen. Die Villa Gutmann in Baden, auch Villa Ida nach Wilhelms Ehefrau benannt, entworfen vom Architekten Alexander Wielemans, zählt zu den spektakulärsten Bauten des Späthistorismus. 1882 erbaut umfasst die Anlage auch Wirtschaftsgebäude, ein Glashaus, ein Salettl und die damals übliche Kegelbahn sowie einen aufwändig gestalteten Garten mit künstlicher Ruine. Nach Idas Tod im Jahr 1924 erbt ihr Enkel Rudolf das Anwesen. 1942 wird es von der „Gauselbstverwaltung des Reichsgaus Niederdonau“ enteignet, Rudolf flüchtet nach Frankreich. 1948 erhält er seinen Besitz zurück und verkauft ihn 1956.

Auch Wilhelms Bruder David erwirbt eine Villa in Baden in der Weilburgstraße 16. Nach seinem Tod erbt sein Enkel Wilhelm Hermann den Besitz, 1941 wird sie vom Landrat des Kreises Baden enteignet. 1948 wird das Gebäude rückgestellt und ein Jahr später verkauft. Heute ist die Villa nicht mehr erhalten.

Moriz Rothberger (1865-1944)

Die erfolgreiche Karriere des 1825 im ungarischen Alberti-Irsa geborenen Schneidermeisters Jakob Rothberger zeigt anschaulich, wie ein Kaufmann, der die Chance der neuen industriellen Möglichkeiten nützt, innerhalb von 30 Jahren aus einem kleinen Handwerksbetrieb ein in ganz Österreich-Ungarn bekanntes und geachtetes Unternehmen aufbauen kann: Das Kaufhaus Rothberger am Wiener Stephansplatz, erbaut von Fellner und Helmer, zählt zu den wichtigsten Warenhäusern mit moderner Philosophie. Die Kunden können den Wert des alten Kleidungsstücks beim Kauf eines neuen anrechnen lassen, ein Tauschgeschäft also. Dadurch entsteht auch ein großes Geschäft für gebrauchte Kleidungsstücke.

Nach seinem Tod 1899 übernehmen drei seiner Söhne, Moriz, Heinrich und Alfred, das große Kaufhaus. Moriz Rothberger lässt für sich und seine zukünftige Frau Karoline Tremel 1912 vom Architekten Otto Prutscher eine Villa in Baden umbauen. Auch das Interieur stammt von diesem Architekten, der für die Wiener Werkstätte tätig ist. Moriz Rothberger muss die Villa im Jahr 1939 verkaufen, er stirbt 1944 im jüdischen Altersheim in der Malzgasse 16 in Wien. 1954 erhält seine Erbin Sophie Podsednik die Badener Villa zurück und verkauft sie dreißig Jahre später.

Rudolf Bienenfeld (1856-1930)

Das Grundstück neben Moriz Rothberger erwirbt der Kaufmann Rudolf Bienenfeld, der eng mit Moriz Rothberger befreundet ist; sie sind gegenseitig Trauzeugen und teilen sich den Architekten: Otto Prutscher errichtet für Rudolf Bienenfeld eine Villa ganz im Sinne eines Gesamtkunstwerkes. Im Nachlass der Wiener Werkstätte im MAK Wien finden sich dazu viele Entwürfe. „Lustig in der Farbe, gelber Terranova-Verputz, hellrotes Dach, grüne Dachrinne, die Blumen vor den Fenstern noch reicher verwendet als bei dem größeren Hause [gemeint ist die Villa Rothberger]“, ist in der Zeitschrift Der Architekt im Jahr 1913 zu lesen. Dadurch bekommen die erhaltenen Schwarzweißfotos Leben und Farbe. Schon 1927 verkauft die Familie die Villa. Zum Zeitpunkt des Anschlusses gehört die Villa Josef und Jana Weintraub, die ihren Besitz 1942 verkaufen müssen. Das Ehepaar wird nach Theresienstadt deportiert und dort getrennt. Josef kommt am 18. 5. 1944 in Buchenwald um, Jana einen Tag zuvor in Ravensbrück.

1950 erhält ihre Tochter Margit Zwicker, die in die USA flüchten konnte, die Villa zurück und verkauft sie 1959.

Gustav Epstein (1828-1879)

Die Familie Epstein gehört zu den ältesten bedeutenden jüdischen Familien der Monarchie. Lazar Epstein, Baumwolldruckfabrikant in Prag, heiratet 1857 in Baden Rosalia Goldberger de Buda aus einer der wichtigsten Textilindustriefamilien in Budapest – Rosalias Mutter Elisabeth ist eine außergewöhnliche Person: Sie ist die Mutter von 17 Kindern, überlebt ihren Mann und führt die Fabrik gemeinsam mit ihren Söhnen – eine Ikone der Emanzipation.

Lazars Sohn Gustav erhält den Ritterstand und baut seine Tätigkeit als Bankier in Wien aus. 1867 lässt er sich von Otto Wagner eine Villa in Baden erbauen, wo seine Tochter Margarethe in der Sommerfrische am 14. 8. 1870 zur Welt kommt. Doch die Zeit in Baden erweist sich als kurzes Glück: Im Zuge des Börsenkrachs 1873 verliert Gustav Epstein sein Vermögen und verkauft die Villa in Baden an Erzherzog Rainer.

Das Wiener Palais Epstein ist heute im Besitz des Parlaments, in dessen Sammlung sich  auch Porträts der Familie befinden.

Samuel Ritter von Hahn (1837-1915)

Samuel Ritter von Hahn zählt zu den wichtigsten und schillerndsten österreichischen Wirtschaftstreibenden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Aus ärmsten Verhältnissen stammend, erarbeitet er sich in der k. k. Südbahngesellschaft die Position eines Oberinspektors und wird anschließend zum Generaldirektor der 1880 in Wien gegründeten k. k. priv. Österreichischen Länderbank bestellt – eine steile Karriere. In der Folge entwickelt er sich durch seine Unternehmungen zu einem der einflussreichsten Industriellen auf dem europäischen Kontinent. In den Jahren 1885/86 lässt er sich von Otto Wagner eine repräsentative Villa in Baden errichten, die nach seinem Ableben in den Besitz seiner Tochter Margarethe Aulegk übergeht. Am 16. November 1938 schenkt Margarethe die Villa ihrem nichtjüdischen Mann Paul Aulegk und entzieht sie somit dem Zugriff der Nationalsozialisten.